Abschied von Chisinau
Die ganze Familie begleitet mich zum Busbahnhof Gara du Sud, sie wollen Abschied von mir nehmen. Anna hat noch eine riesige Schachtel Pralinen gekauft, die ich meiner Frau mitbringen soll – ich denke, wie soll die in mein Handgepäck passen, das eh zu knapp ist, ich muss da noch meinen Rucksack mit Laptop unterbringen, aber es hat keinen Zweck, das Geschenk zu verweigern, ich muss es irgendwie mitnehmen.
Ich sitze im Bus und draußen die Familie, wir winken uns zu, sprechen mit Handzeichen miteinander und geben uns zum Abschied noch Luftküsse. Welch tiefe Verbundenheit ist doch entstanden durch meine, bisher fünf, Besuche bei ihnen – von Mal zu Mal tiefer. Ich hoffe, dass das, zumindest eine Zeitlang, so bleibt.
Endlich fährt der Bus ab, links und rechts ist die Straße gesäumt von großen Feldern auf denen Weinstöcke und Gemüsesorten gepflanzt sind. Moldawien ist ein großer Garten. Nach wenigen Kilometern beginnen sich dunkle Regenwolken am Himmel zusammenzuballen. Sie bilden eine riesige Front am Himmel. Schon beginnen Donner zu rollen und Blitze zu zucken. Die Wolken entleeren sich in einem starken Platzregen. Während wir die ersten Kilometer fahren wird es immer stärker und ich sehe auf der Straße Sturzbäche fließen. Die Felder werden endlich getränkt mit frischem Wasser – es ist höchste Zeit denn solange ich jetzt hier war, und auch davor herrschte eine große Hitze. Heute hatten wir es kaum aushalten können und gegen Abend wurde es immer schwüler.
Ich sitze ziemlich hinten im Bus und wir fahren über holprige Straßen mit vielen Kurven und ich habe Mühe beim Schreiben auf meinem Netbook, das auf meinem Schoß liegt. Ich komme mir vor wie auf hoher See. Dieses Gefühl wird noch unterstützt von einem ständigen Klappern am Busboden und einem Geräusch, das etwa alle 5 Minuten kommt und sich anhört wie das Schnauben eines Walrosses. Jetzt wird es langsam dunkel, denn der Himmel wird immer noch von schwarzen Wolken bedeckt, aber es regnet nicht mehr. Wir nähern uns langsam der Grenze, die unten im Tal liegt, die Straße schlängelt sich in Serpentinen in Richtung Rumänien.
Moldawien ist ein schönes Land, denke ich, ganz anders als wie das, was ich vorher hörte, über das „Armenhaus Europas“, das viele Leute verlassen wollen. Nein es ist reich an Früchten und Gemüse-sorten aller Art und hat fette Böden. Auch Viehzucht ist hier ein großes Thema. Nur viele Menschen haben keine Idee und Vision aus dem Land selbst zu schöpfen, stattdessen gehen viele nach Italien, Spanien, England, um dort Geld zu verdienen. Wenn sie wieder zurückkommen und es in ihrem Land ausgeben, dann ist es auch gut, doch viele bleiben ganz weg. Ich denke mir, da können wir doch helfen.
Es ist schön, Marius und seine Familie zu kennen und auch Emil. M. lebt seit 14 Jahren in Chisinau, der Hauptstadt von Moldawien (ca. 700000 Ew.) Er kommt ursprünglich aus Oradea in Rumänien, wo er an einer Bibelschule war und den Ruf verspürte in den Osten zu gehen, um das Vakuum nach der Wende mit dem Evangelium zu füllen. Er ist in Chisinau geblieben und hat mit amerikanischer Unterstützung eine sozialmissionarische Arbeit begonnen. Emil ist Moldawier und hat in den Neunzigern eine amerikanische Bibelschule in Chisinau besucht und bekam Unterstützung aus England, um Camparbeit und Gemeindearbeit zu machen.
Immer noch müssen wir an der Grenze unser Gepäck aus dem Bus holen und es in einen gesonderten Raum auspacken, wo Stichproben gemacht werden, diesmal nicht bei mir – es scheint irgendwie lockerer geworden zu sein. Ich unterhalte mich mit einer japanischen Rucksacktouristin, die auf zweimonatiger Europareise unterwegs ist. Zurück im Bus und jetzt an der Grenze nach Rumänien – der Busfahrer scheint einen interessanten Geschmack zu haben, eine sentimentale, Country- mäßige Musik, die aber schön ist, kommt aus den Lautsprechern des Busses, es erinnert mich an alte Zeiten. Ganz anders als beim letzten Mal im moldawischen Bus, der aufgeheizt war mit Balkan- dance- floor- Klängen. Die Klimaanlage ist ausgeschaltet, starker Schweiß kommt mir aus allen Poren und macht die Kleidung stark klebrig. Wir müssen doch noch warten, denn die Pässe sind noch nicht da. Meinen hat er gar nicht genommen, sondern mit einem leichten lächeln zurückgegeben, ich nehme an, weil ich an angesehener Europäer bin, im Gegensatz zu all den „moldawischen Wilden“, die sich noch immer nicht von Russland losgesagt haben. Jetzt geht’s aber doch weiter, wir fahren nach Rumänien und die Klimaanlage wird wieder voll aufgedreht. Ich versuche gleich mal ein wenig zu schlafen, es ist 22.30 Uhr. Der Bus kommt gegen 7:30 Uhr morgens in Cluj Napoca an.